Deutschland in naher Zukunft. Krankheiten, Schönheitsfehler und Suchtprobleme sind abgeschafft. Gesundheit ist das höchste Ideal, wofür sogar in das menschliche Erbgut eingegriffen wird. Eine Welt, in der sich Kommissar Nix nur schwer zurechtfindet. Als er eines Tages auf eine merkwürdig aussehende Leiche stößt, steht er vor einem Rätsel. Die Ähnlichkeiten des Toten mit Neandertalern sind einfach zu groß – diese aber sind seit Zehntausenden Jahren ausgestorben. Oder doch nicht? Schon bald machen Nix und seine Kollegen eine grausige Entdeckung: Kann es sein, dass man Neandertaler geklont hat, um damit den Menschen zu optimieren? Und das alle, die davon wissen, beseitigt werden sollen?
Verlag: Heyne Jahr: 2017 Seiten: 526 ISBN: 978-3-453-31825-0
Wer Anhand des Klappentextes und dem Zusatz “Die Jagd ist eröffnet” einen rasanten Thriller voller Action erwartet sollte von dem Buch Abstand nehmen – diese Buch ist kein Actionthriller. Vielmehr handelt es sich um einen langsamen Wissenschafts–“Thriller”, der sich (meist) viel Zeit lässt und auch in Sachen Wissenschaft etwas tiefer geht als man es von einem Thriller erwarten könnte. Man bekommt mehr Gentechnologie, Anthropologie und Zukunftsphilosophie als Action präsentiert.
Man könnte fast von einer Dystopie sprechen, denn das Bild das Lubbadeh von Deutschland in der nahen Zukunft zeigt, ist eher erschreckend als erstrebenswert. Laster wie Rauchen und Trinken sind verpönt, die Gesundheit wird überwacht, ein Eugenik-Programm versucht Behinderungen und Krankheiten auszurotten. Dazu gibt es schon vor der Geburt Gen-Edits, damit Gendefekte, die zu Krankheiten oder Behinderungen führen schon im Mutterleib korrigiert werden. Schöne neue Welt? Nein – Lubbadehs Vision erzeugt ein Gefühl der Bedrohung und führt dazu, dass man sich als Leser auch so seine Gedanken zu dem Thema macht. Ganz nach der ethischen Frage: WIe weit darf oder soll der Mensch “Gott” spielen?
Das Programm ist zwar relativ erfolgreich bezüglich der Ausrottung von Krankheiten, aber eine glückliche Gesellschaft ist Deutschland im Roman trotzdem nicht. Die körperlichen Gebrechen sind seelischen gewichen – Depression ist ein großes Thema in Deutschland. Neben der “normalen” gibt es noch die so genannte “Große Depression”, die im Buch schon Kinder befällt und Betroffene zu komplett lethargischen, leeren Hüllen macht.
In dieser, größtenteils recht glaubhaft beschriebenen Welt, spinnt Lubbadeh dann seine Geschichte rund um die geklonten Neandertaler.
Er schafft es, dass die meisten Charaktere im Buch sympathisch und glaubhaft rüberkommen. Sei es Kommissar Nix (auch wenn der als Cop die stereotype Drogenhöhle-Szene verpasst bekommt), der gehörlose Anthropologe Max oder seine Partnerin Sarah. Manches ist ab und an “too much”, aber im großen und ganzen ein Lob für die Charaktere, mit denen sich der Leser durchaus identifizieren kann.
Wie anfangs erwähnt lässt sich der Roman recht viel Zeit – viel Action oder spannende Wendungen gibt es nicht wirklich. Dafür gibt Lubbadeh seinen Charakteren mehr Raum oder behandelt auch die wissenschaftliche Seiten tiefer, als es für die reine Story erforderlich gewesen wäre, ohne aber in oberlehrerhaftes Erklären abzudriften.
Klingt bis hier hin gut? Ist es auch – die angesprochenen Dinge des Buches fand ich echt super. Allerdings hat der Roman ein paar Probleme im Erzählfluss und enthält Brüche, die mich beim Lesen doch ziemlich gestört haben.
Anfangs ist Kommissar Nix der Hauptfigur des Buches (wie der Klappentext ja schon irgendwie vermuten lässt). Leider fällt er irgendwann mehr oder weniger sang und klanglos aus der Erzählung heraus….
Noch viel störender Fand ich aber den Übergang Kapitel 2 auf 3 – was ohne zu spoilern jetzt nur kompliziert zu erläutern ist. Bis dort hin baut Lubbadeh wirklich eine gute Handlung auf – und schafft es diese dann in einem kurzen 8 seitigen Kapitel im Prinzip zu beenden. Bis dahin hat das Buch sich für fast alles viel Zeit gelassen – um hier unglaublich gehetzt eine unerwartete Zäsur zu setzen. Das Kapitel macht einen extrem unfertigen, nicht recht durchdachten Eindruck und passt in meinen Augen überhaupt nicht in den bisherigen Erzählfluss.
Erneut zaubert Lubbadeh dann einen neuen Protagonisten aus dem Hut um die Geschichte zu Ende zu führen. Dieser Wechsel wäre in meinen Augen nicht wirklich nötig gewesen – vor allem nicht auf die gewählte Holzhammermethode.
Quer durch das Buch hat Lubbadeh einzelne Kapitel eingebaut, die zur Zeit der realen Neandertaler spielen. Diese Kapitel hätte man sich aber eigentlich schenken können – sie bringen der Story nicht wirklich etwas. Teilweise sind die verwendeten steinzeitlichen Bezeichnungen und Namen etwas verwirrend, und je später im Buch desto größer war die Wahrscheinlichkeit, dass ich diese Kapitel mehr überflogen als gelesen habe. Die Seiten hätte man lieber genutzt, um sanftere Übergänge zu generieren bzw. den Strang rund um Kommissar Nix schöner zu Ende zu führen.
Ohne die angesprochenen Brüche wäre Neanderthal wirklich ein super Buch geworden – so wurde mein Lesevergnügen aber leider etwas gebremst. Trotzdem werde ich mir den Autor merken und gerne mehr von ihm lesen. Die Art zu schreiben und der wissenschaftliche Aspekt der Geschichte fand ich wirklich sehr gut. Den Erzählfluss noch etwas polieren und alles ist toll.
Danke an den Heyne Verlag für das Rezensionsexemplar.
11. Februar 2018 um 19:16
Meine Wertung
10
Hallo und vielen Dank für den Besuch auf meinen Blog!
Die Brüche in der Erzählung, stimmt, das war schon etwas Holzhammermethode und hat mich auch irritiert. Kaum hatte man sich an einen Protagonisten gewöhnt, kaum der nächste. Beide waren toll, das war nicht das Problem, aber so hat man das einfach nicht erwartet.
Deine Kritikpunkte und auch dein Lob kann ich alles nachvollziehen.
Liebe Grüße,
Daniela, der Buchvogel