September 1938. In München treffen sich Hitler, Chamberlain, Mussolini und Daladier zu einer kurzfristig einberufenen Konferenz. Der Weltfrieden hängt am seidenen Faden. Im Gefolge des britischen Premierministers Chamberlain befindet sich Hugh Legat aus dem Außenministerium, der ihm als Privatsekretär zugeordnet ist. Auf der deutschen Seite gehört Paul von Hartmann aus dem Auswärtigen Amt in Berlin zum Kreis der Anwesenden. Den Zugang zur Delegation hat er sich erschlichen. Insgeheim ist er Mitglied einer Widerstandszelle gegen Hitler. Legat und von Hartmann verbindet eine Freundschaft, seit sie in Oxford gemeinsam studiert haben. Nun kreuzen sich ihre Wege wieder. Wie weit müssen sie gehen, wenn sie den drohenden Krieg verhindern wollen? Können sie sich überhaupt gegenseitig trauen?

München von Robert Harris

Verlag: Heyne Verlag
Jahr: 2017
Seiten: 430
ISBN: 978-3-453-27143-2

Wie bereits bei der Rezension zu Konklave erwähnt, ist Robert Harris bekannt dafür, seine Romane auf historischen Themen basieren zu lassen und in diesen Realität und Fiktion schlau zu vermengen. Von dieser Linie weicht er auch in München nicht ab. Diesmal dürfen die Geschehnisse rund um das Münchner Abkommen vom September 1938 als historischer Hintergrund herhalten.

Sowohl auf deutscher als auch auf britischer Seite baut Harris fiktive Charaktere in Form von Paul von Hartmann und Hugh Legat in die Geschichte ein. Die weiteren beteiligten Nationen Italien, Frankreich und nur ganz am Rande die Tschechoslowakei, treten nur nebensächlich auf. Größtenteils erlebt der Leser die Situation aus Sicht der Briten, denn Harris legt Wert darauf seine Interpretation der “Figur” Neville Chamberlains dem Leser näher zu bringen.

München kann man eigentlich nicht lesen, ohne zumindest etwas Interesse am politischen und zeitgeschichtlichen Hintergrund des Buches zu haben – den sonst bleibt eigentlich nur ein recht trockener Roman über ein Diplomatentreffen über.

Appeasement-Politik oder Friedens-Schaffung?

Interessant wird das ganze aber, wenn man den historischen Kontext betrachtet. Allgemein wird die Politik Chamberlains negativ als Appeasement-Politik beschrieben. Zu viele Zugeständnisse, Beschwichtigung und Besänftigung gegenüber Hitler-Deutschland um einen Krieg um alle Fälle zu verhindern. Dass die Politik letzten Endes gescheitert ist, ist kein Geheimnis – der Zweite Weltkrieg ist ein unwiderlegbares Zeichen dafür. Chamberlains Politik muss sich im Nachhinein die Kritik gefallen lassen, ob man durch die Beschwichtigungspolitik nicht vielleicht eine Chance verspielt hat, Hitler aufzuhalten, bevor er eine solche militärische Stärke erreichte.

Robert Harris Roman liest sich aber größtenteils frei von jeglicher Kritik an Chamberlains Handeln – es handelt sich eher um eine Ehrenrettung der Person Chamberlain. Ja, Chamberlain möchte den Krieg um alle Fälle verhindern und gibt dafür auch gute Argumente – denn welches Volk wünscht sich schon einen Krieg? So handelt er stehts im guten Glauben daran, irgendwie Hitler auf diplomatischer Ebene im Zaum halten zu können. Allerdings ignoriert er auch Argumente die zeigen, dass sein Wunsch womöglich illusorisch ist, da mit Nazis einfach nicht zu verhandeln ist.

Zu dieser Überzeugung kommt Legat ganz am Ende des Buches auch, denn von Hartmann legt ihm folgendes dar:

Alle haben gesagt […] Klar, stimmt schon, dieser Hitler, das ist ein schrecklicher Karl, aber das heißt nicht zwingend, dass er ganz schlecht ist. […] dieser grässliche mittelalterliche Anti-Juden-Kram, das geht schon wieder vorbei. Aber der springende Punkt ist, es geht nicht vorbei. Man kann das nicht vom Rest trennen. Das gehört alles zusammen. Und wenn Antisemitismus böse ist, dann ist alles böse. Wenn sie nämlich zu dem fähig sind, dann sind sie zu allem fähig. Robert Harris, München, Seite 375

Sätze, die auch in der aktuellen Zeit und Situation mehr denn je gelten und definitiv zum Nachdenken anregen sollten….

Thriller? Doku?

Bleibt auch hier wieder die Frage, handelt es sich um einen Thriller? Ich finde nicht, denn dafür sind die fiktiven Stränge und Personen im Buch zu stiefmütterlich behandelt und haben eher die Funktion von “Erzählern” der jeweiligen Seite. Der kleine Kreis der deutschen Widerständler bleibt mehr als nur wage und der britischen Seite folgt man primär mit Blick auf Chamberlain. Auch bleibt Harris hier ziemlich nah an den historischen Faken, er baut also keine “alternative Zeitgeschichte” wie er es. z.B. in Vaterland getan hat.

Ich habe mich gut unterhalten gefühlt, vielleicht auch gerade weil die fiktiven Charaktere ziemlich realistisch in die Handlung eingeflochten wurden und Harris auf irgendwelche großartigen Twists und Überraschungen verzichtet. Allerdings sollte man dann, wie bereits erwähnt, meiner Meinung nach wirklich etwas geschichtliches Interesse mitbringen. Ohne dieses könnte der Roman dann doch etwas trocken sein und man sich eher wie in einem Sachbuch über das Münchner Abkommen fühlen.

München - Robert Harris

10.99 EUR
8

Meine Wertung

8.0/10

Gut

  • trotz bekanntem Ausgang spannend erzählt
  • gute Einbettung der fiktiven Charaktere in historische Handlung

Nicht so gut

  • ohne Interesse an der geschichtlichen Situation wohl ein trockenes Unterfangen