Kannibalen aus Zucker – es gibt sie! Sie leben in einer unterirdischen Welt voller Lutscher-Wälder und Gummibonbon-Goblins. Während du auf der Arbeit bist, verlassen sie ihre Welt und durchstreifen unserer Straßen auf der Suche nach Nahrung. Ihre Beute: deine Kinder. Sie locken eure Kleinen mit ihrem süßen Düften und ihrer bunten Zuckerhaut an, um sie dann mit ihren rasiermesserscharfen Zähnen und Klauen in Stücke zu reißen.
Als Junge musste Franklin Pierce mit ansehen, wie seine Geschwister von einer Zuckerfrau mit rosa Zuckerwattehaaren getötet wurden. Seit diesem Tag ist Franklin von den Zuckermenschen besessen. Sein ganzes Leben lang hat er (erfolglos) versucht, der Welt klarzumachen, dass die Zuckermenschen existieren. Als er den Zugang zu ihrer unterirdischen Welt entdeckt, wagt er sich in diese zuckersüße Welt. Sein Plan: Einen Zuckermenschen fangen und an die Oberfläche bringen – tot oder lebendig. Allerdings muss Franklin ziemlich schnell merken, dass bei diesem Plan nicht alles so glatt läuft, wie er sich das vorgestellt hat…
Verlag: Festa Verlag Jahr: 2009 Seiten: 160 ISBN: 978-3-86552-095-1
Bevor ich zum Buch an sich komme, muss ich zugeben, dass The Cannibals of Candyland sogar für meine Verhältnisse ein seltsames Buch ist. Das Ganze gehört zu einem literarischen Feld, das seit 2005 unter dem Namen „Bizarro-Literatur“ bekannt ist. Die Autoren, in diesem Falle Carlton Mellick III, bedienen sich oft des Absurden, der Satire oder des Groteskem, um eine möglichst abgedrehte Geschichte zu präsentieren. Erlaubt ist im Prinzip alles, Hauptsache es ist extrem grotesk, absurd, radikal, gewalttätig, obszön, eklig, …, und gnadenlos übertrieben. Dass das Ergebnis dann nur selten für die breite Masse geeignet ist, geschweige denn für Jugendliche oder anspruchsvolle Literaturliebhaber liegt damit auf der Hand. Bei vielen dürften die Geschichten eher dazu führen, dass sie an der geistigen Integrität der Autoren zweifel und man sich fragt, ob man solche teils kranken Ideen wirklich zu Papier bringen sollte. Wer kein Problem mit extremer Gewalt, komischen sexuellen Fantasien, seltsamen Welten oder überdrehten Charakteren hat, findet hier allerdings kurzweilige Unterhaltung weit, weit abseits ein jeden Mainstreams.
Mellick erzählt die Geschichte von Franklin, der sich in eine unterirdische Welt mit menschenkinderfressenden Zuckermenschen begibt. Franklin ist auch kein ganz normaler Mensch. Außer dass er ein Verlierer ist, von seiner Frau betrogen wird und immer eine kleine Zwergkatze in der Innentasche seiner Jacke mit sich herumträgt, hat er auch noch ein künstliches Gehirn, das ihm ein fotografisches Gedächtnis beschert und ihn schneller als andere Menschen denken lässt. Leider überhitzt das Gehirn ab und an, sodass er ab und an seinen Kopf öffnen muss, um das Gehirn an der Luft zu kühlen.
Als er erneut Zeuge wird, wie ein Junge von einem Candyman umgebracht wird, nimmt er die Verfolgung auf, und landet in der unterirdischen Welt der Zuckermenschen. Sein Plan, einen der Bewohner zu fangen und an die Oberfläche zu bringen, kann er aber recht schnell aufgeben, denn Franklin wird seinerseits Gefangener der Candyfrau Jujube.
Jujube nutzt Franklin, um ihrerseits einer ungeliebten Partnerschaft zu entgehen, indem sie ihn zu ihrem Partner erklärt. In der Welt der Zuckermenschen geht das ziemlich einfach, man muss das Objekt der Begierde einfach an den Bettpfosten ketten und fertig – keine weitere Zustimmung erforderlich. In dieser Zweckbeziehung bekommen beide nun einen Einblick in die Welt des jeweils anderen und müssen jeweils feststellen, dass auch die andere Welt „menschliche“ Züge und Rituale hat.
Zwischendrin gibt es immer mal wieder etwas süßen Sex und Jujube versucht Franklin zu einem Zuckermann umzubauen, damit er in ihrer Welt nicht mehr so auffällt. Sie versucht z.B. Wunden und Haut mit Zuckerguss und Co zu heilen. Das hat natürlich eher den gegenteiligen Effekt – statt zu heilen rottet das Ganz eher vor sich in. Da die Umbauten am Ende also nicht wirklich von Erfolg gekrönt sind, und Franklin in der Welt der Zuckermenschen ein sehr ungebetener Gast ist, müssen die beiden aus der Welt der Zuckermenschen in die „normale“ Welt fliehen.
Absurde Story? Richtig, allerdings haben wir ja ein Genre, wo man das sicher nicht als Negativpunkt erwähnen kann. Wer sich auf ein solches Buch einlässt, muss mit so etwas rechnen. Interessant ist, dass Mellick es schafft, neben allem Zucker und Blut, doch eine recht glaubhafte Gesellschaft des Candylandes zu zeigen. Hier läuft alles etwas anders, Ehen haben eine andere Art geschlossen zu werden und Menschenkinderfleisch ist halt ein Grundnahrungsmittel. So betrachtet verliert auch der Charakter der Jujube irgendwie alles böse. Sie legt in ihrer Welt, nach ihren Maßstäben ist das alles ganz normal – wie für uns andere Dinge eben ganz normal sind. So kann man ihr auch das Anknabbern von Franklin und ihre „Integration-durch-Zuckerüberzug-Versuche“ nicht wirklich übel nehmen.
Ein witziges Buch, wenn man sich drauf einlässt!
Auch wenn ich das Buch auf Englisch gelesen habe, verdient die deutsche Hardcover-Version des Festa Verlages definitiv eine Erwähnung (auch wenn diese nicht mehr erhältlich ist). Das Buch kommt mit, zum Candystyle passend, rosa Seiten und einer Kannibalenfrau auf dem Cover die, sobald man über ihren Bauch reibt, einen Erdbeerduft verströmt. Da hat sich der Verlag echt Mühe gegeben eine stilvolle Umsetzung auf den Markt zu bringen.